Aktuelle Herausforderungen der Straßenbahninstandhaltung: Ein Blick hinter die Kulissen

Die Straßenbahnen in unserer Stadt sind das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs. Doch in letzter Zeit sind einige Niederflurbahnen (NGT) aus dem Verkehr gezogen worden und das hat Auswirkungen auf den Fahrplan der MVB. Wir haben mit Alexander Pohlemann, dem Bereichsleiter für Straßenbahninstandhaltung bei der MVB gesprochen, um mehr über die aktuellen Herausforderungen zu erfahren.

Die Straßenbahnen im Stillstand

Derzeit können zwölf Niederflurstraßenbahnen nicht für den Fahrgastbetrieb eingesetzt werden. Stattdessen müssen auch die älteren Tatra-Bahnen im täglichen Betrieb aushelfen. Doch warum stehen diese Fahrzeuge still? Alexander Pohlemann erklärt: „Die NGT-Bahnen haben einfach ihre Kilometerlaufleistung erreicht. Der Gesetzgeber schreibt in der Betriebsordnung für Straßenbahnen vor, dass nach spätestens acht Jahren oder 500.000 gefahrenen Kilometern eine umfassende Inspektion der Züge durchgeführt werden muss.“ Aufgrund vermehrter Fahrten und vor allem längerer Linienwege in der Vergangenheit erreichen die Bahnen diese Grenzen immer schneller. Zu nennen sind hier die Strombrückensperrung und die langjährige City-Tunnel-Baustelle mit einer fast fünfjährigen Sperrung für den Straßenbahnverkehrin der Innenstadt. Im Schnitt hat jede Bahn 20.000 Kilometer pro Jahr zusätzlich zurückgelegt! Jeden extra gefahrenen Kilometer spürt die MVB heute. Deswegen sind mehr Bahnen gleichzeitig zur Inspektion abgestellt, als ursprünglich vorgesehen. Bereits 2020 hat die MVB mit der Beschaffung der Berliner Tatrafahrzeuge KT4D reagiert und konnte so die Problematik reduzieren.

 

Die wachsenden Herausforderungen der Instandhaltung

Die geforderte Inspektion, die oft als Hauptuntersuchung bezeichnet wird, findet in der MVB-Hauptwerkstatt in Brückfeld statt und dauert etwa drei Monate pro Straßenbahn (in diesem Artikel haben wir euch gezeigt, wie so eine Inspektion abläuft). Doch aufgrund des zunehmenden Alters der Bahnen, die ersten kamen bereits 1994 in den Einsatz, gestaltet sich diese Inspektion heute immer aufwendiger. Alexander Pohlemann erklärt: „Früher beschränkte sich die Inspektion auf die Begutachtung und kleinere Reparaturen. Heute müssen wir oft umfassende Generalüberholungen durchführen.“ Dies führt zu längeren Standzeiten der Fahrzeuge in der Werkstatt, denn statt drei Monate kann so eine Inspektion nun bis zu fünf Monate dauern. Mit der Einstellung von zusätzlichen Karosseriebauern hat die MVB auf diesen Umstand reagiert.

Karosseriearbeiten an einer Straßenbahn

Lieferengpässe als zusätzliche Hürde

Ein weiteres Problem, das die Instandhaltung der Straßenbahnen beeinträchtigt, sind akute Lieferengpässe. Aufgrund der Corona-Krise und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine können bestellte Ersatzteile am Markt nicht rechtzeitig geliefert werden. Alexander Pohlemann zeigt sich besorgt über die extrem langen Lieferzeiten: „Radreifen, Achslager, Lüfter, Kühlwasserbehälter, Bremskomponenten – all diese Produkte sind für einen sicheren Betrieb unserer Straßenbahnen unerlässlich. Trotz rechtzeitiger Bestellungen müssen wir oft Monate oder mittlerweile sogar Jahre auf sie warten.“

Kreative Lösungsansätze

Um die Herausforderungen zu bewältigen, suchen Pohlemann und sein Team nach kreativen Lösungen. Ein Beispiel ist die Herstellung von Kühlwasserbehältern aus Stahl durch eine Magdeburger Firma, da die herkömmlichen Teile aus Kunststoff am Markt nicht verfügbar sind. Außerdem wurde ein 3D-Drucker angeschafft, um Ersatzteile selbst herstellen zu können. Das Ziel ist es, die grundlegende Inspektion zu beschleunigen. Pohlemann erklärt: „Im ersten Schritt konzentrieren wir uns auf sicherheitsrelevante Baugruppen, um die Straßenbahnen schneller wieder einsatzbereit zu machen. Die restlichen werterhaltenden Maßnahmen werden zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt, wenn wir in der Werkstatt wieder mehr Kapazitäten haben.“

Neuer Kühlwasserbehälter aus Stahl und alter Behälter aus PET

Ausreichend Straßenbahnen theoretisch vorhanden

Es sei auch erwähnt, dass es branchenbasierte Berechnungsmethoden gibt, um die notwendige Betriebs- und Werkstattreserve der Straßenbahnen zu ermitteln. Theoretisch verfügt die MVB mit 92 Zügen über ausreichend Straßenbahnen, um den täglichen Linienverkehr bewerkstelligen zu können. Jedoch stellen die oben genannten Herausforderungen, Lieferengpässe und zusätzlich gefahrene Kilometer, eine erhebliche Einschränkung dar.

Herausforderungen bleiben

Trotz aller Bemühungen reicht es noch nicht aus, um den reibungslosen Betrieb der Straßenbahnen sicherzustellen. Zusätzlich zu den großen Inspektionen müssen täglich weitere Wartungsarbeiten, wie Kontrolldurchsichten aber auch Unfallreparaturen, durchgeführt werden. Dies führt seit Ende der Sommerferien dazu, dass in den Stoßzeiten gelegentlich Fahrten ausfallen mussten, da nicht genügend Züge einsatzbereit sind. Im Durchschnitt sind täglich drei von 73 im Einsatz befindlichen Straßenbahnen nicht verfügbar.

 

Ein Blick in die Zukunft

Um kurzfristig eine stabilen Fahrplan für die Fahrgäste ohne Ausfälle anzubieten, reagiert die MVB nun: Der Fahrplan der Linie 5 wird ab Montag, 25. September reduziert. Statt alle 10 Minuten fährt diese Linie dann alle 20 Minuten. Warum trifft es ausgerechnet die Linie 5? Zum einen ist die 5 neben der Linie 8 die Linie mit den wenigsten Fahrgästen, zum anderen fährt die Linie 5 größtenteils parallel zu anderen Linien. Fahrgäste können also im Zweifel auf eine andere Linie oder Verbindung ausweichen.

Die Reduzierung des Fahrplans spart exakt die drei Züge ein, die durchschnittlich in den letzten Wochen fehlten.

Und langfristig? Der Fuhrpark der MVB wird mit 35 neuen Straßenbahnen vom Typ Flexity verjüngt. Daneben bleibt das Ziel von Alexander Pohlemann, innerhalb der nächsten zwei Jahre wieder normale Verhältnisse bei den Bestandsfahrzeugen herzustellen und die Anzahl der stillstehenden Züge zu reduzieren. Doch bis dahin werden weitere Bahnen ihre Inspektionsfristen erreichen. Es gibt also noch viel Arbeit für die Kolleginnen und Kollegen in den Straßenbahnwerkstätten. Deshalb sucht die MVB hier weitere Unterstützung. Hier geht es zu den aktuellen Stellenangeboten!

Bereits bestellt: Neue Flexity-Straßenbahn

 

Auf einen Blick: So viele Straßenbahnen sind in Magdeburg unterwegs

Niederflurstraßenbahn NGT8D 72
Niederflurstraßenbahn NGT8D mit Anhänger B6A2 11
Tatra-Straßenbahn KT4D 8
Tatra-Straßenbahn T6A2 1
Gleichzeitig im Einsatz befindliche Straßenbahnen: 73 (70*)

*ab 25.09.2023

3 Responses

    • Hallo,
      der Einsatz der Tatrabahnen ist im Fahrplan gekennzeichnet. Im Aushangfahrplan sind diese Fahrten mit einem „T“ versehen. Auch in der elektronischen Fahrplanauskunft ist angegeben, ob eine Niederflurbahn eingesetzt wird oder nicht. Im Zweifel können sich Fahrgäste gern an unsere kostenlose Service-Hotline unter 0800 548 1245 wenden. Die Kollegen teilen mit, auf welcher Fahrt eine Tatrabahn zum Einsatz kommt.
      Viele Grüße

    • Hallo,
      die Bahnen ohne Niederflureinstieg sind auf dem Fahrplan in der Haltestelle markiert. Zusätzlich sind auch in den digitalen Fahrplanageboten Hinweise auf den Einsatz ohne Niederflurwagen vorhanden.
      Wir raten unseren Fahrgästen generell, sich vor Fahrtbeginn über etwaige Störungen und Änderungen, sowie über die Barrierefreiheit zu informieren. Viele Grüße, Johannes

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