Wenn die Tram zum „TÜV“ muss.

Jeder, der ein Auto hat, kennt die Hauptuntersuchung, die alle zwei Jahre fällig wird, umgangssprachlich auch „TÜV“ genannt. Das ist die wohl bekannteste Prüforganisation. Es gibt aber auch andere, wie beispielsweise die „KÜS“ oder „Dekra“. Der Prüfingenieur schaut dabei nach allen sicherheitsrelevanten Teilen und beurteilt dann die Verkehrssicherheit.
Eine solche Hauptuntersuchung gibt es natürlich auch bei der Straßenbahn, jedoch ist sie deutlich umfangreicher. Was dabei genau passiert, möchte ich euch hier schreiben.

Der Anfang

Zunächst die Ausgangssituation. Die Straßenbahnen sind jeden Tag im Jahr viele Stunden unterwegs. Bei Sonnenschein, Regen, Frost und immer steigen viele Menschen ein und aus. Das geht natürlich nicht spurlos an den Wagen vorüber. Deshalb werden alle Wagen in festen Intervallen in den Betriebshofwerkstätten auf Verkehrs- und Betriebssicherheit geprüft. Dabei werden zum Beispiel die Blinker, Bremslichter und Scheinwerfer geprüft, aber auch die Türen. Sie haben einen Schutz gegen Einklemmen und dieser wird bei den kleinen Durchsichten kontrolliert und gegebenenfalls nachgestellt.

Bei den größeren Durchsichten werden dann erweiterte Messungen vorgenommen und auch die Filter der Fahrgastraumbelüftung gewechselt. Die pustet übrigens nur gefilterte Frischluft in den Innenraum. Die „verbrauchte“ Luft entweicht durch geöffnete Fenster oder beim Fahrgastwechsel durch die Türen. Damit ist schon seit 25 Jahren immer gute Luft in unseren Wagen. Und wenn es mal schlecht riecht, liegt das zumeist an anderen Dingen. 😉

Die Hauptuntersuchung

In diesem Intervall geht es Jahr für Jahr weiter, bis die Wagen entweder 8 Jahre oder 500 000 Kilometer hinter sich haben. Dann schreibt der Gesetzgeber eine Hauptuntersuchung vor.

Diese findet bei uns in Magdeburg in der Straßenbahnhauptwerkstatt in Brückfeld, nahe dem Elbauenpark, statt. In dem 1902 erbauten Werkstattgebäude kümmern sich 34 Werkstattmitarbeiterinnen und -mitarbeiter um alle „großen“ Reparaturen, etwa die Hauptuntersuchungen, Radreifenwechsel oder Unfallinstandsetzungen. Weitere neun Kollegen kümmern sich außerhalb der Werkstatt um den reibungslosen Betrieb. Einer davon ist Alexander Pohlemann, der Bereichsleiter der Straßenbahninstandhaltung. Er fährt auch selbst Straßenbahn und kennt sich bestens aus. Er ließ mich in die Werkstatt schauen und konnte mir jede meiner Fragen beantworten (und das waren viele! ;)).

„Zuerst wird eine sogenannte Eingangsbefundung gemacht. Dabei schauen wir uns den Wagen an und erstellen eine Liste aller Teile und Arbeiten, die für die HU notwendig sind“,

erzählt er mir. Ich erfahre, dass Straßenbahnersatzteile meist lange Lieferzeiten haben und meist nur in kleinen Stückzahlen produziert werden. So gibt es ein gut sortiertes Lager, in denen alle Teile auf Vorrat parat stehen. Daraus könnte man fast eine ganze Bahn zusammenbauen!

Ist dann klar, was alles gebraucht wird, kommt der Wagen eines Tages in die Werkstatt. Die Wagen sind teils schon 24 Jahre alt und kurz vor der 1,5 Millionen-Kilometer-Marke. Entsprechend sehen Drehgestelle, Fußboden, Haltestangen und mechanische Teile auch aus. Deshalb wird die Bahn während der Untersuchung einmal bis auf das Blech zerlegt. Los geht es auf Gleis 1, wo alle Aufbauten vom Dach entfernt werden. Hier oben steckt die meiste Technik der Wagen – zumeist Baugruppen für die Antriebe und Stromführung, etwa der Stromabnehmer und die Stromrichter für die Fahrmotoren.

Danach wird der Zug „umgeparkt“ und von seinen Drehgestellen getrennt. So erleichtert wechselt er nun abermals das Gleis, wo schließlich alle Innenausbauten entfernt werden. Neben Sitzen, Fahrkartenautomaten und Verkleidungsteilen ist das auch die komplette Fahrerkabine.

Die ausgebauten Baugruppen wechseln jetzt in die Fachabteilungen, wo sie weiter zerlegt, gereinigt und aufgearbeitet werden.
Der leere Wagenkasten wird zwischenzeitlich ausgebessert. Hier sind vor allem Blecharbeiten und Ausbesserungen des Fußbodens nötig. Auch die 70 Fahrgastsitze werden erneuert, ebenso wie die Haltestangen. Die sind übrigens nicht rosa.

„Erikaviolett!“,

wendet Herr Pohlemann ein, als ich darauf zu sprechen komme. „Warum kann man die nicht mal umlackieren?“, möchte ich wissen. Die aktuelle Farbe ist ja doch eher speziell. „Die Farbe würde nicht lange halten. Die Griffstangen müssen ja einiges aushalten. Neben den unzähligen Berührungen auch die Desinfektion an den Endstellen und Reinigung auf den Betriebshöfen. Da wären die ganz bald wieder erikaviolett“, erklärt er mir. Nun, so wird uns die Farbe aus den 90er-Jahren also noch eine Weile begleiten.

Zwei Wochen dauert es übrigens, den 29 Meter langen Unterboden der Bahn zu konservieren. Hier arbeiten die Kollegen im Vollschutzanzug über Kopf, ziemlich anstrengend!
Auch die Drehgestelle werden komplett überarbeitet. Der Stahlrahmen wird sandgestrahlt, alle Anbauteile werden erneuert und die Radreifen, auf denen die Straßenbahn fährt, werden durch neue ersetzt.

Apropos Drehgestelle:
Habt ihr schon gewusst, dass im Magdeburger Straßenbahnnetz hauptsächlich linksherum durch Kurven gefahren wird? Das liegt an den Wendeschleifen, die immer eine Linkskurve bilden, damit die Bahn nicht das Gleis der Gegenrichtung kreuzen muss. Bedingt durch diese einseitige Belastung verschleißen die Räder auf der rechten Seite schneller. Deshalb werden alle vier Drehgestelle jährlich um 180 Grad verdreht. Damit ist sichergestellt, dass sich die Radreifen nicht zu einseitig abnutzen.
Bitte Platz nehmen!

Wenn alle Baugruppen aus dem „Wellnessurlaub“ der Fachabteilungen zurück sind, werden sie wieder im aufbereiteten Wagenkasten verbaut. Schritt für Schritt finden alle Teile ihren Weg an den angestammten Platz. Dies erfolgt in der umgekehrten Reihenfolge des oben beschriebenen Ablaufs, also werden zuerst die Einbauten montiert, dann die Drehgestelle und zuletzt die Ausrüstung auf dem Dach.
So komplettiert wird der Straßenbahnwagen auf Herz und Nieren geprüft. Die Kollegen der Hauptwerkstatt nennen das „statische Inbetriebnahme“. Blinkt der linke Blinker auch, wenn der entsprechende Schalter betätigt wird? Funktionieren alle Bildschirme und Fahrkartenentwerter?
Wenn alles passt, wird natürlich auch eine Probefahrt gemacht, die dann folgerichtig „dynamische Inbetriebnahme“ genannt wird. Diese erfolgt auf einer Teststrecke auf einem der Betriebshöfe. Dabei wird beispielsweise auch eine Gefahrenbremsung gemacht. So wird sichergestellt, dass alle sicherheitsrelevanten Funktionen einwandfrei sind.

Zurück von der Kur

Zum Abschluss gibt es noch eine „Abschlussbefundung“. Dabei werden die vor der Hauptuntersuchung festgelegten Arbeiten auf Vollständigkeit überprüft. Treten hier Mängel auf, muss nachgebessert werden.

„Das ist aber die Ausnahme“,

versichert mir Alexander Pohlemann.
Wenn alles zur Zufriedenheit der Beteiligten ist, bekommt die Tram wieder einen Platz im Depot, bereit zur Ausfahrt am nächsten Tag. Sie ist in diesem Zustand technisch neuwertig und fit für die nächsten 500 000 Kilometer in Magdeburg.

Zahlen und Fakten
So lange dauert die Hauptuntersuchung: ca. 3 Monate
So viele Wagen kommen pro Jahr nach Brückfeld: 10-12 Stück
Und so viele Bahnen sind zeitgleich dort: 2 pro „Durchgang“
Im Durchschnitt kostet jede HU: so viel wie ein Oberklasse-Pkw
Den Aufwand betreiben die Kolleginnen und Kollegen: für die Sicherheit unserer Fahrgäste und den ordnungsgemäßen Betrieb

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