Gerade hatte ich mich in den Fahrdienst eingefuchst. Ich begann zu verstehen, welche Ampeln wann auf „Fahrt frei“ springen und wann ich wo welchem Gegenzug begegne. Es lief alles gut und mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Schichtdienste, die bis dato vollkommen neu für mich waren.
Und dann kam dieser eine Tag, an dem die Eindämmungsverordnung in Kraft trat. Hier sollte es auch für mich viele Änderungen geben. Was sich genau geändert hat, möchte ich euch heute mal schildern.
Es zeichnete sich natürlich schon vor dem ersten Geltungstag der Eindämmungsverordnung (die die Landesregierung Sachsen-Anhalt erließ) ab, dass wir schon bald nicht mehr wie gewohnt unseren Dienst verrichten werden können.
Dann kam die Gewissheit: Die MVB wird ihr Angebot anpassen müssen, denn die Fahrgastzahlen brachen in den ersten Tagen rasch ein. Dass es dann keinen 10-Minuten-Takt im Stadtgebiet mehr braucht, erklärt sich da fast von selbst und so wurde auf den angepasstem Samstagsfahrplan umgestellt. Das bedeutete auf der einen Seite für die Fahrgäste einen 15-Minuten-Takt ab um acht, auf der anderen Seite für mich auch weniger Arbeit.
Insgesamt wurde es für mich ruhiger, denn die Schichtlänge war oft kürzer, die Zeiten an den Endstellen länger und, vor allem, der Straßenverkehr tendierte gegen null.
Das war auch einer der prägendsten Eindrücke für mich. Als alle Schulen, Kitas, Unis, Spielplätze, Ladengeschäfte und andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens geschlossen waren, glich die Stadt einer Geisterstadt. Wo sich sonst im Berufsverkehr Autos stauten, Menschen dicht gedrängt an Haltestellen warteten und kaum Platz für einen ruhigen Gedanken war, da war nun nichts als Stille. Ein paar Menschen gingen hin und wieder über die Gehwege und in meiner Bahn saß kaum eine Handvoll Personen.
Die Ampeln zeigten ihre Farben, wie sie das immer taten, doch war kein Verkehr da, den es zu regeln galt.
Auch privat änderte sich einiges. Meine beiden Kinder waren traurig, nicht mehr auf den Spielplatz gehen zu können. Auch zu Oma und Opa durften sie nicht und so wurde das Familienleben auf eine Probe gestellt. Da kam es für mich nicht ungelegen, die angesammelten Überstunden abbummeln zu können. Kleine Spaziergänge an der Elbe, ein paar Stunden im Kleingarten und viel Zeit zu Hause prägten diese Wochen.
Auch bei der Arbeit stellten sich neue Routinen ein.
An jeder Haltestelle mussten nun alle Türen geöffnet werden. Ungewohnt, vor allem für die linke Hand, mir der die Türen gesteuert werden. Neu war auch der Abstand zu den Kollegen. Saß man sonst in geselliger Runde im Pausenraum, war dort nun ein großer Abstand zueinander.
Auch an den Endstellen gab es etwas neues: Menschen mit Lappen und Handschuhen standen parat, um die Straßenbahn im Akkord zu renigen. Genauer gesagt, um die Flächen zu desinfizieren, an denen man als Fahrgast oft anfässt: Türen, Haltebügel, Griffstangen, Taster. Bei einem Gespräch mit einem der Kollegen sagte er mir: „Ich mach das jetzt fünf Tage und ich kann keine Haltestangen mehr sehen!“. Für die Leistung ziehe ich meinen Hut vor den Menschen, schließlich reinigen sie tagtäglich alle 15 Minuten eine Bahn.
Eine große Veränderung gab es dann erst wieder, als langsam Lockerungen der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen beschlossen wurden. Zaghaft kehrten die Fahrgäste zurück an die Haltestellen und hin und wieder standen auch mal wieder mehr als drei Autos an einer Ampel.
Auch nach weiteren Lockerungen passierte was: die Tragepflicht für eine Mund-Nasen-Bedeckung wurde eingeführt. Sie soll sicherstellen, dass das Infektionsrisiko minimiert wird, auch wenn kein Mindestabstand zu anderen Menschen eingehalten werden kann. So zum Beispiel in der Straßenbahn, in der es nun manchmal wieder etwas voller wird.
Immernoch müssen wir alle Türen der Bahn an jeder Haltestelle öffnen. Immernoch sind die Fahrgastzahlen niedriger, als vor Beginn der Pandiemie und immernoch ist auch der Strßenverkehr nicht so dicht, wie er es einmal war. Das finde ich gut, denn oft stehen einem als Straßenbahnfahrer die PKW im Weg herum.
Was mir auch positiv auffällt: Der Fahrrad-Anteil hat sich merklich vergrößert. Manchmal sieht man sogar einen Fahrrad-Stau, zum Beispiel am Platz des 17. Juni, wo viele Menschen durch den Glacis-Park in die Innenstadt radeln wollen. Das konnte ich vor der Pandemie so gut wie nie beobachten.
Nun sind die meisten Beschränkungen in Hinsicht auf die Eindämmungsverordnung wieder aufgehoben worden und das altägliche Leben kehrt zurück. Die MVB hat nun den „normalen“ Fahrplan wieder eingeführt und die Schulkinder füllen hin und wieder die Bahnen am Neustädter Platz oder dem Hasselbachplatz.
Lobenswert ist, dass viele Menschen sich an die Pflicht halten, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Hier merke ich allerdings deutliche Unterschiede zwischen Tag und Nacht.
Tagsüber sieht man nur vereinzelt Menschen ohne eine Bedeckung, nachts ist dies nach meinem Empfinden anders. Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären. Es ärgert mich dennoch, wie fahrlässig viele Menschen mit der Gesundheit anderer umgehen, denn die Maske dient ja nicht zuletzt auch dem Schutz der Mitmenschen.
Um an die Maskenpflicht zu erinnern, sind an allen Türen aller Fahrzeuge auch Piktogramme angebracht worden. Ausserdem läuft eine automatische Ansage im Fahrgastraum alle paar Haltestellen durch und an den Aushangfahrplänen der Wartehäuschen wird ebenfalls mit einem Schild auf die Tragepflicht hingewiesen. Natürlich wird die Einhaltung auch bei den Fahrscheinkontrollen überprüft. Dennoch scheint es für manche Menschen unnötig zu sein, eine Bedeckung aufzusetzen.
Diese Bedeckung trage ich natürlich in der Bahn und im Supermarkt und überall sonst, wo man den Mindestabstand nicht einhalten kann. Meiner Maske habe ich übrigens scherzhaft den Beinamen „Schnutenpulli“ gegeben.
Auf die Zukunft bin ich gespannt. Werden wir irgendwann wieder ohne Mundschutz fahren können? Werden die Menschen in Zukunft öfter das Fahrrad oder das Auto nehmen, statt mit der Bahn zu fahren? All das lässt sich noch nicht klären und es wird bestimmt noch etwas dauern, bis ich mich an den neuen Alltag gewöhnt habe. Denn eins ist klar: die Zeit vor der Pandemie, die kommt so schnell nicht mehr zurück.
Bis bald!
Bleibt gesund 😉
Johannes