Es wird Ernst – die Praxisprüfung

Gleich nach unserer Nachtschichtwoche wurde es ernst. Zur Eingewöhung fuhren wir noch einmal drei Tage mit dem Fahrschulwagen durch die Stadt. Jeder sollte noch einmal jede Linienführung gefahren sein, damit die Streckenkenntnis bestmöglich sitzt.
Diese Streckenkenntnis ist das Wissen um all die kleinen Details, die das eigene Fahrverhalten später im Alltag vorausschauend und kundenfreundlich werden lässt. Dazu gehören Dinge, wie zum Beispiel Ort und Länge von Geschwindigkeitsbegrenzungen, der Zustand des Gleises oder sogenannte Einspeisepunkte für Ampelschaltungen.

Dann war es soweit: Der letzte Tag vor der Prüfung.

Lange schaute ich mir meinen Liniennetzplan an, in dem ich in der vergangenen Zeit alle Hinweise und Ergänzungen einschrieb. Jede Linie versuchte ich in Gedanken abzufahren. Für den entscheidenden Tag wollte ich bestmöglich gerüstet sein. Leider war ich so aufgeregt, dass ich am Abend nicht so schnell einschlafen konnte. So kam es, dass mein Wecker am nächsten Tag, für mein Empfinden, viel zu früh klingelte. Ein paar Bissen vom Toast, ein wenig Müsli und einen Schluck Kaffee, mehr bekam ich vor lauter Lampenfieber nicht herunter. Auf dem Weg zur MVB-Fahrschule nach Sudenburg saß ich in der Bahn und grübelte. „Weiß ich alles genau?“, „Bin ich mir in dem Wissen sicher?“, „Was, wenn nicht?“, gingen mir die Fragen immer und immer wieder durch den Kopf. Obwohl ich immer alles beantworten konnte und mein Fahrstil laut Ausbilder auch recht sicher wirkte, war mir nun ganz und garnicht so. Nervös wie ich war, entließ mich die Straßenbahn Linie 10 in Sudenburg in die kalte Welt. Auf dem Betriebshof angelangt, setzte ich mich zu meinen Kollegen und Mitlernenden in den Aufenthaltsraum. Durch das Fenster sah ich nach draußen. Der Fahrschulwagen 701 stand bereit und summte leise im Morgenlicht vor sich hin. Mit mir zusammen hatten an diesem Tag zwei andere Anwärter Prüfung. Einer sollte beginnen, der Rest würde mitfahren und dann nachfolgen.

der MVB-Fahrschulwagen steht auf dem Betriebshof Sudenburg
MVB Fahrschulwagen 701 steht in Sudenburg bereit zur Praxisprüfung

Angespannt wartend blickten wir uns stumm an. Meine Nervosität erreichte das Maximum,

als die Tür aufging und Herr Rausch herein kam. „Seid ihr bereit?“, fragte er freudig und ebenso angespannt. „Hmm, ja“, fiel unsere Antwort knapp aus. „Dann los! Auf geht´s! Das wird schon, keine Angst!“, entgegnete er abermals und wir gingen hinüber zum bunten Fahrschulwagen.
Im Inneren war es angenehm warm, trotzdem fror ich etwas. Noch war der Prüfer nicht da und wir besprachen den Ablauf der kommenden Stunden. Ich würde als Letzter an der Reihe sein, kurz vor Mittag. Unsere Prüfung wurde vom Betriebsleiter persönlich abgenommen. Er wird uns eine Linie vorgeben, der wir zunächst Folgen sollten. Irgendwann zwischendrin würden dann alle prüfungsrelevanten Themen eingebaut werden. Kundenservice, Streckenkenntnis, Gefahrenbremsungen, technische Störungen und eine Umleitung mit Kundeninformation, inklusive möglicher Umstiege würden also in den knapp 60 Minuten willkürlich auftauchen beziehungsweise abgefragt werden.

Nachdem alle Fragen geklärt wurden, gab es noch ein paar organisatorische Dinge zu erledigen. Dann waurde es wieder so still, wie im Aufenthaltsraum zuvor. Die folgenden fünf Minuten des Wartens kamen mir wie eine Ewigkeit vor. „Jetzt geht es los“, kommentierte unser Ausbilder das Erscheinen eines Mannes am Eingang des Betriebshofes. Der Mann kam direkt auf unsere Bahn zu und drückte den Türöffner. Die Tür schwang auf, er trat hinein und wünschte allen einen guten Morgen.
Dieser Mann war der Betriebsleiter, Herr Fürste. Er bat uns, mit hinaus zu kommen.

Die Prüfung begann.

draußen am Fahrzeug mit dem Vorbereitungsdienst. Den müssen wir auch im Alltag machen, wenn wir einen Zug aus dem Betriebshof holen. Zum Vorbereitungsdienst zählen vor allem prüfende Tätigkeiten. Ist der Sandvorrat voll? Ist die Sicherheitsausrüstung vollständig? Leuchten alle Lampen? Diese und andere Fragen werden dort abgearbeitet. Für die Prüfung wurden natürlich ein paar Kleinigkeiten eingebaut, die es zu entdecken und beheben galt. Immer wieder gab es eine Nachfrage vom Prüfer, beispielsweise zu den Bremsen der Straßenbahn. So war jeder von uns drei Anwärtern kurz dran.

Im Anschluss gingen wir wieder zurück ins Warme in den Wagen. Nach einer kurzen Instruktion setzte meine Kollegin als Erste den Wagen in Bewegung und wir verließen den Betriebshof. Die Bimmel fuhr in Richtung Innenstadt, vorbei am Landgericht, über den Hassel, die Strombrücke, bis in der Herrenkrug. Dort war Ablösung und die erste Prüfung beendet. Wir anderen verließen die Bahn, damit der Prüfer die Bewertung und das Ergebnis mit der Kollegin besprechen konnte. In der Zwischenzeit genoß ich die tiefstehende Sonne. Weiter hinten, hinter der Wendescheleife, standen ein paar Pferde, deren Atem in der kalten Luft kondensierte. Einen Moment lang sah ich den Tieren zu. Als der Wind unangenehm wurde, konnten wir passenderweise wieder zurück in die Straßenbahn. „Bestanden!“ hieß es für die erste im Bunde, dann ging es auch schon mit dem Nächsten weiter. Wir ließen den Herrenkrug hinter uns, fuhren zurück in die Stadt, über die Anna-Ebert-Brücke, die Otto-von-Guericke Straße und schließlich weiter nach Reform. Dort war dann auch die zweite Prüfung beendet. Im Gegensatz zum ersten Mal, machten wir nur kurz Pause, denn ein Ergebnis erfuhr mein Kollege noch nicht.

Dann war ich an der Reihe. Mein Puls war inzwischen wieder schneller, als ich auf dem Fahrersitz Platz nahm.

Ich bekam noch ein paar aufbauende Worte vom Fahrlehrer und dann kam gleich der Betriebsleiter zu mir vor. „Fühlen Sie sich in der Lage, die Prüfung zu absolvieren?“, lautete die obligatorische Frage zum Anfang. Am liebsten hätte ich „Nein!“ gesagt, aber wohin hätte das geführt? So nickte ich und gab mit einem kurzen „Ja!“ den Auftakt der Fahrt.
Fahrt im Fahrschulwagen
Nach den ersten hundert Metern fühlte sich alles wie gewohnt an. Der Wagen rollte genauso schön dahin, die Strecke war frei und das Wetter optimal. So gab ich mein bestes, alles so zu machen, wie all jene Tage zuvor.
Aus Reform rollten wir über die Wiener Straße, den Hasselbachplatz, zum Breiten Weg, um dann durch die Agnetenstraße zurück zum Hasselbachplatz zu fahren. Zwischendrin stoppte mich die ein oder andere Gefahrenbremsung und wegen eines Unfalls (der natürlich nur simuliert war), musste ich meine Route ändern. Auch fragten mich ein paar (fiktive) Fahrgäse nach Umsteigemöglichkeiten.
Am Hasselbachplatz angekommen, sagte der Prüfer zu mir:

„Herr Lauf, an dieser Stelle beende ich Ihre Prüfung. Können Sie sich vorstellen, warum?“.

Kurz war mir mulmig. Hatte ich doch etwas falsch gemacht? Etwas übersehen? „Mist!“, dachte ich mir.
„Nein, warum?“, antwortete ich und schaute dabei vermutlich ziemlich unsicher.
„Sie haben mir gezeigt, dass sie die Fähigkeit besitzen, eine Straßenbahn sicher zu fahren“, sagte Herr Fürste zu meiner Erleichterung. Ein Stein fiel mir vom Herzen! Endlich war es geschafft! Dachte ich. „Ich würde Sie bitten, im Wagen Platz zu nehmen. Im Betriebshof werde ich noch mal mit ein paar Fragen auf Sie zukommen“, fügte er noch hinzu.
Nun, immerhin ein Etappensieg.

20 Minuten später standen wir alle wieder auf dem Gelände des Depots in Sudenburg. Nachdem wir die angekündigten Fragen offenkundig zufriedenstellend beantwortet hatten, gratulierte Herr Fürste uns zur bestandenen Fahrprüfung.
Nun war es wirklich endgültig überstanden. Meine druckfrische, hellblaue „Fahrerlaubins für Straßenbahnen“ hielt ich dann wenig später in den Händen.

Die Fahrerlaubnis
Die Fahrerlaubnis erhält man gleich nach der Prüfung.

Jetzt sollte die entspannte Zeit der Fahrschule vorbei sein, denn die nächste Stufe wartete schon: die Lehrfahrten.

Die sind im Grunde genommen gewöhnliche Dienste im Liniendienst, mit Fahrgästen und allem anderen. Der Unterschied liegt darin, dass ein erfahrener Straßenbahnfahrer neben einem steht, der meinen Weg zum Personenbeförderungsschein überwacht. Mit dem bestehen der praktischen Fahrprüfung darf ich nämlich Straßenbahn fahren, jedoch nur ohne Fahrgäste. Dafür ist der Personenbeförderungsschein nötig, der in den Lehrfahrten erworben wird.

Nun hieß es „Tschüss!“ zu sagen. Von meinem ersten Tag im Oktober, bis hierher im Dezember, war es eine schöne und sehr eindrucksreiche Zeit. Von 0 angefangen lernte ich alles, was nötig ist, um eine Straßenbahn in Magdeburg zu fahren. Ein letztes Mal nahm ich also meine Warnweste vom Sitz, steckte sie in meinen Rucksack und stieg aus dem Wagen.
Ein leises „Tschüss und Danke!“ sprach ich zum Fahrschulwagen (ich glaube an das Karma der Dinge ;)).

Dann drehte ich mich um und verließ den Betriebshof durch die kleine Seitentür, durch die ich am ersten Tag auch kam.
Die Luft war noch immer sehr kalt, aber meine Stimmung war ausgelassen und mein Rucksack um einiges voller (mit Erfahrungen).

Wie ich meine erste Lehrfahrt erlebt habe, werde ich natürlich auch mit euch teilen, beim nächsten Mal.
Bis dahin wünsche ich euch eine gute Zeit!

Euer Johannes, der Straßenbahnfahrer.

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