Die Praxisausbildung

Nach ein paar freien Tagen stand nun die theoretische Prüfung an. In den vorausgegangen Unterrichtsstunden konnten wir noch einmal intensiv alle Prüfungsfragen üben und hatten dabei auch viele hilfreiche Tipps von unserem Fahrlehrer. Die Prüfung selbst war dann selbstverständlich etwas förmlicher als unsere Übung im Unterricht, nicht zuletzt auch deshalb, weil vor uns unser Prüfer saß.

Nachdem alle Fragebögen ausgeteilt wurden, begann die schweigsame dreiviertel Stunde. Frage für Frage arbeitete ich mich die Liste entlang, bis ich am Ende angelangt war. Um sicherzustellen, dass ich alles richtig beantwortet habe, ging ich nochmal alles durch. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Nach der Abgabe meiner Fragebögen wartete ich mit den anderen Kollegen zusammen noch einen Moment an der frischen Luft, bis es schließlich an die Auswertung ging. Unser Prüfer ist mit uns alle Fehler noch einmal durchgegangen, um festzustellen, ob diese durch fehlendes Wissen oder Aufregung entstanden sind.

Die Laune in den Bänken war ausgelassen: wir hatten alle bestanden! Als kleines Einstandsgeschenk gab es für jeden eine Warnweste mit Firmenlogo. Die ist übrigens immer Pflicht, wenn man sich während des Dienstes im öffentlichen Straßenverkehr bewegt, zum Beispiel, wenn man mal eine Weiche per Hand stellen muss.

Unsere Warnwesten kamen bei der anschließenden Begehung des Hasselbachplatzes gleich zum Einsatz. Dort konnten wir uns die Funktionsweise der Fahrsignalanlage (eine Ampel nur für Straßenbahnen untereinander) anschauen. Eine praktische Einrichtung, denn dadurch werden die Fahrzeiten der Straßenbahnen verkürzt, was natürlich gut für unsere Fahrgäste ist.

Nach einer spannenden Stunde an der frischen Luft stiegen wir in die nächste Bahn zum Verkehrshaus, dem Hauptsitz der MVB in der Otto-von-Guericke Straße. Hier haben wir einen Einblick in die „heiligen Hallen“ des Betriebsdienstes bekommen: die Leitstelle. In der Leitstelle laufen alle Funkgespräche zusammen, werden Fahrzeuge im Umleitungsfall koordiniert, Unfälle und Störungen bearbeitet und die Stromversorgung überwacht.

ein Raum mit vielen Bildschirmen und Monitoren
Immer jemand da: die Leitstelle.

Hier gibt es immer einen Ansprechpartner für alle Mitarbeiter im Betriebsdienst, wenn man Hilfe braucht oder etwas melden möchte. Die Kollegen der Leitstelle zeigten uns, welche Informationen man zu den einzelnen Fahrzeugen bekommen kann. So sieht man auf den großen Bildschirmen beispielsweise die Verspätung einzelner Wagen, eine Karte, auf der sich farbige Punkte (Busse und Bahnen) bewegen und eine Liste mit ankommenden Funkgesprächen. So können die Disponenten genau im richtigen Moment alle wichtigen Daten bereithalten, sollte es etwa beispielsweise zu einem Unfall gekommen sein.

Gleich am nächsten Tag ging es dann an‘s Eingemachte. Morgens, bei leichtem Nieselregen, trafen wir uns auf dem Betriebshof in Rothensee, ganz im Norden der Stadt. Hier stehen viele der Magdeburger Straßenbahnen über Nacht, bis zu ihrem nächsten Einsatz. Außerdem liegt hier eine von drei Werkstätten. Die Kollegen der Technikabteilung kümmern sich um alles, was mit unseren Straßenbahn zu tun hat, vom Sitz im ersten Wagen bis zum Fahrmotor ist alles dabei.

Nach einer kurzen Besichtigung der Betriebshofwarte gingen wir zu unserem auffälig lackierten Fahrschulwagen. Auf einem Gleis hinter der Werkstatt stand er da im Regen und es schien fast ein wenig so, als würde er schlafen.

Ansicht des MVB Fahrschulwagens von der Seite
Wagen 701 wartet auf den Einsatz.

Ein paar Minuten später saßen wir alle im Fahrzeug an unseren Plätzen, an denen jeweils auch ein kleiner Tisch montiert ist und hörten den Erklärungen unseres zweiten Fahrlehrers, Steven Rausch, zu. Er schilderte uns die Schritte, die nötig sind, damit wir mit dem Wagen 701 – so die interne Bezeichnung unseres Fahrschulwagens – fahren können. Etliche Schritte und ein paar Minuten sind nötig, bis man aus dem kalten, stillen und dunkeln Wagen ein fahrbereites Fahrzeug mit Licht, Geräuschen, Wärme und, vor allem, Antriebskraft gemacht hat.
Jetzt war es endlich soweit! Der Moment, auf den ich schon so lange hingefiebert hatte, war endlich da. Ich durfte zum ersten Mal selbst eine Straßenbahn steuern. Was für ein tolles Gefühl!

Unter den wachsamen Blicken und der detaillierten Anleitung von Herrn Rausch bereitete ich zunächst die Tram für die Abfahrt vor. Dann drückte ich den Sollwertgeber (so heißt das „Gas- bzw. Bremspedal“ der Straßenbahn) nach vorn und mit einem leichten Surren setzte sich die 17 Tonnen schwere Bahn bedächtig in Bewegung. Die erste Fahrt wurde auch prompt mit lautem Geklingel beendet, denn jede Bahn hat eine Sicherungseinrichtung, den sogenannten „Totmann-Schalter“. Dieser muss ständig betätigt werden, sonst bremst die Straßenbahn selbstständig bis zum Stillstand mit einer Gefahrenbremsung. Dadurch wird das Unfallrisiko verringert, wenn der Fahrer einmal in Ohnmacht fallen sollte.

Als Anfänger achtet man darauf natürlich nicht und so bringt einen diese Einrichtung prompt zum Stehen – und das nicht nur ein Mal. Halb so wild, aller Anfang ist schwer. Glücklicherweise war ich nicht allein, denn meinen Kollegen ging es ähnlich. Die Totmannschaltung hörten wir noch einige Male an diesem Tag.

Der MVB Fahrschulwagen steht neben einer MVB NGT- Straßenbahn

Nachdem wir alle je eine Runde auf dem Betriebshof gedreht hatten, ging es auch auf den ersten Abschnitt im Streckennetz außerhalb des Straßenbahndepots. Hier bekam man zum ersten Mal ein Gefühl dafür, worauf man als Straßenbahnfahrer alles achten muss. Oberleitung, Schienen, Weichen, Signale und, vor allem, andere Menschen und Autos! Eine schier unüberschaubare Menge an Informationen prasselten auf mich ein.

Natürlich kann das niemand auf Anhieb und so war ich sehr froh, dass unser Fahrlehrer immer die richtige Anleitung parat hatte. Immer mit der Hand am Not-aus-Taster saß er neben mir und schaute mit Argus-Augen auf den Straßenverkehr. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt so viel gleichzeitig beachten musste. Dennoch machte es ziemlich viel Freude, mit der Straßenbahn dort entlang zu fahren, wo man bisher sonst nur mit dem Fahrrad oder Auto entlang kam.

An den folgenden Tagen sammelten wir dann die ersten Streckenkenntnisse im Stadtgebiet. Wir fuhren immer im Wechsel von Wendeschleife zu Wendeschleife, wo dann jeweils der nächste an der Reihe war: Barleber See, Neustädter See, Cracau und Diesdorf sind nur ein paar Beispiele für die ersten Ausflugsziele. In Reform standen sogar meine Großeltern an der Haltestelle und haben ein Foto für das Familienalbum gemacht, das hat mich sehr gefreut.

Der Fahrschulwagen wird von uns nach dem Feierabend noch gereinigt, der Sandvorrat wird aufgefüllt und dann darf sich auch „unser“ 701 über in der Wagenhalle ausruhen. In ein paar Wochen werde ich noch mal mehr zu den Betriebshöfen schreiben können, denn dann werden wir eine sogenannte Betriebshofeinweisung erhalten. Nur mit dieser Einweisung darf man sich als Mitarbeiter auf dem Gelände aufhalten.

Außenanischt der bunt bemalten Toilettenhäuschen am Olvenstedter Platz
Links im Bild: das von Max Grimm gestaltete Toilettenhäuschen am Olvenstedter Platz.

Übrigens: Falls ihr euch schon mal gefragt habt, wo man als Tramkutscher sein Bedürfnis verrichten kann: An jeder Wendeschleife gibt es ein WC. Das ist sogar sehr ordentlich, sauber und – vor allem im Winter wichtig – beheizt.

Auf bald!
Johannes

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